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Vier Glückwunschkarten liegen vor mir auf dem Tisch

Wir haben sie aufbewahrt, da es die einzigen waren, die jemals kamen. Geschenke hatten wir sicher nicht erwartet, als wir eine Woche nach Ellerts Geburt stolz von unserem Mini berichteten. Liebevolle Geburtsanzeigen hatten wir verschickt, mit Foto, allen Daten, trotz allem Schreck waren wir stolz auf unseren Stammhalter. Auf Reaktionen von außen warteten wir jedoch vergeblich.

Nach einiger Zeit kamen dann die ersten Anrufe „ lebt es noch“, wie kann man so taktlos nachfragen dachte ich mir, beantwortete aber geduldig die Fragen, ohne mir etwas anmerken zu lassen.  Nach meiner Entlassung beschäftigte die frischgebackene  Oma am meisten die Frage „ wo wir es denn beerdigen lassen wollen“. Waren wir im falschen Film – sollte es niemanden geben, der an unseren Sprössling glaubte?

Es war doch schon schwer genug für uns, den Geschwistern die Zuversicht rüberzubringen. Aber wenn schon die Umwelt so negativ eingestellt war, das bekamen auch die Mädchen mit.

Ein Getratsche ging durch den ganzen Ort, was wir da versuchten, von Moral und Quälerei wurde gesprochen, als ginge es um ein Etwas. Was da lag, winzig, geschunden, gequält, das war schließlich unser Kind, das wir unendlich liebten und für das wir alles taten, um es behalten zu dürfen. Ein kleiner Mensch, der seine Zukunft noch vor sich hatte, auf den wir lange gewartet und uns irrsinnig gefreut hatten. Wie konnte man von unserem kleinen Prinzen so sprechen ?

Ich hatte eine schreckliche Schwangerschaft hinter mir, war froh, es überhaupt so weit geschafft zu haben. An eine Grenze, so lange es bei mir noch zu verantworten war und der Grenze, bei der man mit dem Überleben eines Frühchens überhaupt rechnen konnte.  24. SSW, so etwas hatte ich früher noch nicht gehört, nie für möglich gehalten, dass es so winzige Menschen überhaupt gibt.

Das erste , was ich von ihm sah war das winzige, dünne Händchen, welches den Tubus umklammerte – mein Sohn, so unendlich nah und doch so weit weg. Ich hätte ihn so gerne im Arm gehalten oder wenigstens berührt doch er war zu instabil. Wie in Trance und ganz verliebt in dieses winzige Etwas gingen wir zurück ins Zimmer, neben mir eine glückliche Mama mit Rooming-in Baby. Warum sie und ich nicht, seltsame Gedanken gingen mir da durch den Kopf. Die Tür ging auf, vor mir standen meine Töchter, gerade 3 und 5 Jahre alt, die nicht so recht begriffen, was hier vor sich ging. Wir haben einen Bruder, wo ist er? Er ist noch ganz klein, Ihr könnt ihn nicht besuchen aber ein Foto könnt ihr euch anschauen. Riesig sah er aus auf dem Bild, formatfüllend hatte mein Mann ihn abgelichtet. Aber genug war es ihnen nicht. Zu diesem Thema unterhielt ich mich ein paar Stunden vorher mit Prof. Linderkamp, ich fiel fast aus allen Wolken, als er uns anbot, die Geschwister doch gleich mit auf die FIPS zu bringen, sie sollten ihren Bruder kennenlernen, wissen, um wen wir zitterten und bangten. Sollte er es nicht schaffen, sie hätten ihn niemals kennengelernt. Wollten wir dies wirklich wagen? Würden sie nicht schrecklich geschockt sein? Als Ellert 5 Tage alt war wagten wir den Versuch mit der Großen, hübsch gemacht und voller Spannung gingen wir rüber, wie würde sie wohl reagieren? Toll, das ist mein Bruder, meinte sie nur, der ist aber klein. Sie bemerkte weder die vielen Kabel und Schläuche, war nicht erschrocken eher fasziniert von all den blinkenden Geräten.

Die Entscheidung war richtig, also durfte am nächsten Morgen die Kleine mit und beide erzählten stolz im Kindergarten vom kleinen Brüderchen, der groß wie eine Barbie war und vielleicht heute Nacht stirbt. Das haben wir ihnen niemals verschwiegen, dass er vielleicht nicht überleben könnte. Sie gingen prima damit um, er käme ja dann in den Himmel und dort wäre es schön. Uns fiel der Umgang damit schon viel schwerer.

Nach meiner Entlassung aus der Klinik fing er an der Stress, wir wollten auf jeden Fall jeden Tag nach Heidelberg, aber das ist gar nicht so einfach mit zwei Töchtern im Schlepptau und niemanden, der sie beaufsichtigen könnte. Nach langem hin und her entschlossen wir uns, einen Babysitter zu engagieren, der sie zumindest alle zwei Tage bei sich aufnahm. Leider bekamen wir keine Haushaltshilfe bezahlt, die privaten Krankenkassen sind da nicht sehr großzügig. Aber wir fuhren, Tag für Tag, 150 km pro Tag und nahmen Teil am Auf und Ab, den täglichen Höhen und Tiefen. Jedes Mal wenn wir dachten, er hätte es geschafft kam am nächsten Tag wieder ein Rückschlag. Am 14 Tag erwartete er uns mit geöffneten Augen, schaute zwar traurig in die Welt aber wir waren so froh, in diese Augen blicken zu können. Dies war auch so ein Augenblick, wenn er jetzt noch gestorben wäre...

Das erste mal känguruhen, er war 3 Wochen alt, ein so winziges Kind, ich hätte mir nie vorstellen können, es auf der Brust zu haben aber es war ein unbeschreiblich schönes Gefühl, für Außenstehende nicht nachzuvollziehen. Wir wollten es natürlich gleich allen erzählen, aber keiner konnte damit was anfangen. Zwar wurden wir ab und zu von Freunden nach Ellert befragt, aber wohl eben den meisten eher aus Sensationslust als aus Mitgefühl. Nur wenige boten uns Hilfe an.

Meine stolz herumgereichten Fotos wurden entsetzt weitergereicht, konnte ich wirklich so ein Kind hübsch finden ? Nach und nach trennten wir uns von einem großen Teil der vermeintlichen Freunde, was waren sie schon wert in der Not !

Unser Mini schlug sich tapfer weiter, wir weniger, das In- und Extubieren zerrte an unseren Nerven, ein Weggefährte ähnlicher Woche verstarb im Nebenbett, wir konnten den Eltern nicht in die Augen schauen. Auch wenn wir uns vorher gut verstanden. Warum ihrer und nicht unserer? Eine schlimme Zeit, wenige Menschen verstanden uns wirklich, die Verwandtschaft war nichts wert. Oma und Opa weigerten sich das Enkelkind anzuschauen, für was an etwas binden, was man nicht behalten kann. Woche um Woche verging, endlich ein Kilo schwer. Dies sollte noch nichts heißen, sagte man uns, die Lunge sah schlimm aus. Wir hofften, besuchten, känguruhten weiter, verbrachten jede freie Minute in der Klinik, die Mädchen im Schlepptau. An Tagen, an denen die Bundeswehr meinen Mann nicht freistellte, ihn mit auf Übung nahm, kam ich mit den Mädchen alleine. Liebevoll wurden sie von den Schwestern mit Marmeladebroten abgefüttert, spielten im Wartezimmer, als wüssten sie, um was es ginge. Wir hatten kaum Zeit für sie, unsere Gefühlsumschwünge konnten sie noch nicht verstehen.

Nach 9 langen Wochen folgte endlich oder auch leider der Umzug auf die H9, endlich weg vom CPAP, mit Massen an Sauerstoff zwar, aber es schien bergauf zu gehen. Dort lernten wir eine neue Sache kennen, den Kinderplanet. Die Mädchen konnten von früh bis um 18.00 h dort spielen und es gefiel ihnen prima. Wir hatten endlich ein gutes Gewissen, sie nicht immer nur abzuschieben denn dort wollten sie gerne hin, fanden schnell Freunde und mochten die Erzieherinnen. Stundenlang konnte ich nun känguruhen, meinem Floh ganz nahe sein.

Und noch etwas fanden wir auf der H9 schnell, Eltern, denen es genauso ging wie uns, die die selben Sorgen hatten und mit denen man reden konnte, die einen verstanden. Weiter ging es auf und ab, aber wir waren nicht mehr alleine mit unseren Problemen. Kaffeetrinken am Nachmittag wurde zum Ritual, einer brachte immer Kuchen mit, wir trafen uns im Elternzimmer, wer durfte mit dem Sprössling, wir bauten uns gegenseitig wieder auf, wenn´s uns oder einem Kind wieder mal schlecht ging. Der Kontakt zu den Schwestern war ja nicht mehr so eng wie auf der FIPS, sie hatten viel mehr Kinder zu betreuen und wir Eltern, die langsam Eigeninitiative zeigten und auch den eigenen Willen durchsetzten wollten, waren sicherlich oft schwierig. Nur taten wir es nicht aus bösem Willen, sondern unseren Kindern zuliebe. Hier konnten die Geschwister noch selbstverständlicher mitgehen, Niko putzte mit der Großen gerne den Fußboden oder machte Unsinn mit ihr. Sie gehörten einfach mit dazu, eben alles eine Familie. Niemals hätten sie die Trennung so wegstecken können, wenn wir sie nicht in vieles miteingebunden hätten. Für diese Offenheit sind wir der Klinik sehr dankbar. Wiebke und Maike lernten, mit dem kranken Bruder umzugehen, er war eben anders und sie liebten ihn abgöttisch. Wir wurden entlassen mit allerhand Geräten, Sauerstoff, später Magensonde, für diese frühe Woche nicht verwunderlich.

Die Großeltern schienen sich mit dem Gedanken nun anzufreunden, einen Enkel zu haben.

Viel Menschen haben uns nach Ellert gefragt, wirklich interessiert hat es jedoch keinen. Sensationslüstern hoffte man am Kindergarten, einen Blick in den Kinderwagen zu erhaschen. Die Leute starrten uns an, so ein Kind hatte man noch nie gesehen, überall Schläuche und Kabel. Je nach Lust und Laune ignorierte ich sie oder versuchte zu erklären.

Was soll’s, sollten sie doch tratschen, ich war nicht auf sie angewiesen. Ich war unendlich stolz auf unseren kleinen Dicken. Jeder sollte es sehen.

Leider stellte sich nach einiger Zeit heraus, dass Ellert diverse Behinderungen davongetragen hatte. Oma und Opa waren sehr erschrocken und haben noch heute massive Probleme mit dieser Tatsache, die andere Oma ignoriert es und erklärt voller Inbrunst, er würde eines Tages sein wie andere Kinder. Wir wissen es besser, lassen sie aber reden. Nur wenn’s ganz schlimm wird stoppen wir ihren Übermut.

Wir haben gelernt, mit einem nicht normalen Kind zu leben, wir lieben ihn darum kein bisschen weniger, er ist wie er ist. Nur eines ist wichtig – er ist glücklich !!!

Probleme im Alltag gibt es genug, ständige Klinikaufenthalte, massive Essstörungen, langer Sauerstoffbedarf, Ablehnung bei Pflegegeld, Hilfsmitteln, kein Platz im Kindergarten, wir haben gelernt, für unsere Rechte zu streiten.

Mein Mann wurde durch die Bundeswehr wegversetzt, da er seine Prioritäten nicht eindeutig zu Gunsten seiner Arbeit setzen wollte. Er hatte sich doch tatsächlich geweigert, mit auf Übung zu gehen, als es Ellert mal wieder sehr schlecht ging und wir auf der H4 damit bangten, niemanden für die Geschwister zur Aufsicht hatten. Aber auch mit der getrennten Haushaltsführung haben wir gelernt zu leben.

Wir sind verschrien im ganzen Ort, weil wir Dinge einfordern, auf die wir Anspruch haben. Einfache Eltern sind wir in diese Beziehung sicher nicht.

Aber wir sind eine recht glückliche Familie, die mit der Erfahrung um Ellert gereift ist.

Viele Probleme werden sicher noch kommen, einige müssen wir erst noch lösen. Frühchen brauchen ihre Zeit zur Entwicklung, wir sind dankbar, solange sie vorwärts geht, auch wenn das Tempo langsam ist .

Wir danken allen, die mit uns gezittert haben und zu uns standen. Auf alle Anderen lernten wir zu verzichten !!!

Viele Freunde und Bekannte haben wir in der Zeit verloren, nicht weniger gute Freunde sind jedoch hinzugekommen, zu denen wir auch heute noch regen Kontakt haben und die fast die einzigen sind, die unsere Sorgen und Nöte um unseren Sohn verstehen können.

Ellert feiert seither seine Geburtstage mit seinen Frühchenkumpels, die extra hierzu zu uns in den Odenwald fahren. Dies sind immer Tage der Erinnerung an die Klinikzeit aber wir alle sehen hoffnungsvoll nach vorne. All unsere Kinder haben sich unterschiedlich entwickelt, einige sind ein wenig klein geraten, andere essen schlecht. Die ganze Bandbreite an Komplikationen finden wir in unserem Frühchenverein wieder aber auch ganz viele völlig normale Kinder.

Wir finden, unser Sohn hat sich seine Familie mit guten Grund ausgesucht. Wir haben ganz viel durch ihn gelernt und werden weiterhin geduldig mit ihm seinen Weg gehen.

Auch heute noch treffe ich Menschen, die freundlich in den Kinderwagen schauen " ach ist der süß" - wenn sie aber erfahren, daß dies vor Ihnen kein Baby mehr ist sondern ein dreijähriger Lausbub drehen sie sich erschrocken weg. Anfangs habe ich das wirkliche Alter verschwiegen um diese Reaktion zu vermeiden, heute kann ich dazu stehen, dass unser Kind einfach anders ist !!!